Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens

Das Raumvorstellungsvermögen hat für viele, insbesondere technische Berufe eine große Bedeutung. Es sollte deshalb ein wesentliches Ziel des Mathematikunterrichts in allen Schularten sein, das langfristig und kontinuierlich zu realisieren ist.

Räumliches Vorstellungsvermögen ist die Fähigkeit, mit 2- oder 3-dimensionalen Objekten auf der Vorstellungsebene zu arbeiten. Voraussetzung für die Entwicklung des Raumvorstellungsvermögens ist die Fähigkeit zur visuell-räumlichen Wahrnehmung.

Eine notwendige Bedingung für die Entwicklung des Raumvorstellungsvermögens sind praktisch-gegenständliche Handlungen, wie Arbeit mit Körpermodellen, Zerlegen und Zusammensetzen von Körpern, Herstellen und Falten von Netzen und Papierbögen, Arbeit mit Knete, Orientierungsübungen mit Stadtplänen u. a. Das Hauptproblem der Unterrichtsgestaltung ist dabei die Planung des Wechselverhältnisses von praktisch-gegenständlichen Handlungen und der reinen Arbeit auf der Vorstellungsebene, die der eigentliche Inhalt des Raumvorstellungsvermögens ist. Infolge der unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler müssen Möglichkeiten zur Differenzierung des Anforderungsniveaus geplant werden. Dabei spielt gerade die Zulassung von gegenständlichen oder zeichnerischen Veranschaulichungen beim Lösen der Aufgaben die wichtigste Rolle.

Es gibt zahlreiche psychologische Untersuchungen zur Entwicklung und den Komponenten des Raumvorstellungsvermögens[1]. Diese Forschungen ergaben u. a. folgende Ergebnisse:

  • Das Raumvorstellungsvermögen entwickelt sich im Laufe der Schulzeit, wobei die größten Zuwächse zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr auftreten. Allerdings ist für diesen Fähigkeitsbereich der Einfluss erblicher Faktoren weitaus größer als bei anderen Bereichen mathematischer Fähigkeiten.
  • Viele Aufgaben werden von den Probanden oft auch ohne räumliches Vorstellen nur durch logische Überlegungen gelöst.
  • Es gibt mathematisch hochbegabte Schüler, die nur ein geringes räumliches Vorstellungsvermögen haben und alle Aufgaben auf rein logisch-analytischem Wege lösen.
  • Bei leistungsschwachen Schülern können durch die Förderung des Raumvorstellungsvermögens Mängel in den verbal-logischen Fähigkeiten kompensiert werden.
  • Bei vielen Testaufgaben werden räumliche Darstellungen vorgelegt, die zum Verständnis der Aufgabe erst gelesen werden müssen, was eine anspruchsvolle Tätigkeit ist.

Für diese Untersuchungen wurden von verschiedenen Psychologen jeweils spezielle Testaufgaben entwickelt und in meist kleinen Populationen erprobt. Zur Bestimmung von Komponenten des Raumvorstellungsvermögens wurden die Testergebnisse faktorenanalytisch ausgewertet. Es existieren deshalb viele unterschiedliche Modelle und Begriffsbildungen. Als Komponenten des räumlichen Vorstellungsvermögens werden u. a. angegeben:

  • Räumliche Wahrnehmung
  • Veranschaulichung oder räumliche Visualisierung
  • Räumliche Verschiebungen und Faltungen
  • Vorstellungsfähigkeit von Rotationen
  • Räumliche Beziehungen
  • Räumliche Orientierung

Diese Komponenten werden in der Regel durch die verwendeten Testaufgaben erklärt. Eine Analyse der Anforderungen dieser Aufgaben, eine Verallgemeinerung der Aufgabentypen oder eine Angabe allgemeiner psychischer Dispositionen finden meist nicht statt. Die Aufgaben sind für den Unterricht meist nicht geeignet, da sie zu speziellen Testzwecken entwickelt wurden. Eine direkte Übernahme der Komponenten des Raumvorstellungsvermögens aus psychologischen Untersuchungen für die Struktur der Aufgaben erwies sich deshalb als nicht möglich.

Es wurde ausgehend von einer Analyse typischer Anforderungen im Alltag eine Kombination aus üblichen Aufgabentypen des Mathematikunterrichts und einigen Komponenten aus psychologischen Untersuchungen vorgenommen. Dabei wurden die Anforderungen an die Darstellung von Körpern und das räumliche Vorstellungsvermögen in geeigneter Weis kombiniert. Im Ergebnis dieser Überlegungen ergaben sich folgende 6 Typen von Aufgaben.

  1. Lesen und Herstellen von räumlichen Darstellungen
  2. Lesen und Herstellen von Ansichten
  3. Identifizieren und Herstellen von Körpernetzen und Papierfaltungen
  4. Zerlegen und Zusammensetzen von Körpern
  5. Erkennen und Herstellen von Rotationen
  6. Aufgaben zur räumlichen Orientierung

Die Aufgabentypen sind Grundlage für Vorschläge zum sicheren Wissen und Können in der räumlichen Geometrie sowie für ein Konzept zur Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens auf der Basis der Rahmenpläne von Mecklenburg-Vorpommer.

1] als hauptsächliche Quelle wurde verwendet: Maier, Peter H.: Räumliches Vorstellungsvermögen, Donauwörth : Auer Verlag, 1999